Das Industrie-Quartier der Mechanischen Bindfadenfabrik Immenstadt
1855 entwickelte sich aus kleinen Anfängen um die handwerkliche Achsenschmiede am Steigbach mit ihren Rechten für die Wassernutzung und einer risikobereiten und weitsichtigen Unternehmergruppe um die Kaufbeurer Familie Probst in wenigen Jahrzehnten ein ausgedehntes Werks-Ensemble mit Produktionsgebäuden, Arbeiterhäusern, Fabrikantenvillen und verschiedenen Sozialeinrichtungen der Firma, einem Wohnheim für ledige Arbeiterinnen, Hort und Kindergarten, Fabrikrestauration und Konsum-Verein.
Die Darstellung von 1907 zeigt idealisiert das Industrie-Quartier mit den Immenstädter Hausbergen idyllisch im Hintergrund gelegen. Ein neuer Stadtteil war in Immenstadt durch die Industrieansiedlung entstanden und um 1900 war die Belegschaft der Fabrik auf beinahe 1000 Beschäftigte angewachsen (1), der Wohnraum wurde knapp. Auch aus Tirol, der Schweiz und Böhmen zogen Arbeiter und Arbeiterinnen zu und wurden angeworben.
Die Mechanische Bindfadenfabrik in Immenstadt betrat mit der industriellen Fertigung von Bindfäden Neuland. Das technische Know-how stammte aus England, dem Mutterland der Textilindustrie. Neueste Spinnmaschinen ließen sich die Fabrikbesitzer aus Leeds, von der Firma Lawson & Sons liefern.
Erste Werkswohnungen entstanden 1871. Während der nächsten beiden Jahrzehnte kamen in enger zeitlicher Folge die Fabrikrestauration 1863, die Arbeiterwohnungen der Oberen und Unteren Kolonie in den Jahren 1871-94, das Böhmenviertel im Jahre 1874 und das Ledigenwohnheim 1875 dazu. Ferner entstanden Lagerhallen in Bahnhofsnähe und Ökonomiegebäude. Die beiden Fabrikantenvillen entstanden 1862/63 in spätklassizistischem Stil für Adolph Probst und die Villa „Edelweiß“ im Jahre 1888 für Edmund Probst, vom Architekten Jean Keller entworfen und heute Sitz der Musikschule Oberallgäu-Süd e.V. Die noch bestehenden Gebäude des Industriequartiers sind heute fast ausschließlich denkmalgeschützt.
Die üblicherweise hohe Fluktuation unter den Industriearbeitern wollte die Firmenleitung durch eine stärkere Bindung an die Fabrik verringern. Ein geeignetes Mittel war die Errichtung von Werkssiedlungen in Fabriknähe, die gleichbleibend günstige Mieten boten. Ein Stellenverlust würde so auch den Verlust der Wohnung bedeuten. Gleichzeitig konnte leichter auf die Freizeitbeschäftigung und das Verhalten der Arbeiter Einfluss genommen werden. Das Leben sollte sich in Reichweite der Fabrikglocke abspielen.
(1) Vogel, Rudolf: Die Industrie. In: Immenstadt im Allgäu. Landschaft, Geschichte, Gesellschaft, Wirtschaft, kulturelles und religiöses Leben im Lauf der Jahrhunderte, S. 351
Interview mit Hr. Dylus, Schlosser in der Mechanischen Bindfadenfabrik (lediglich Ausschnitt für den User-Test)